Vom Fliegen träumen und Fallen lernen – Acro Yoga mit Daniel Scott
Ein Beitrag von Yogawege-Bloggerin Marie Luise Weiss
Ich werfe im letzten Moment einen Blick auf das Programm der berühmt-berüchtigtenYoga-Conference in Wels – immerhin sind es bis dahin nur noch wenige Tage und bisher habe ich mir erst wenige Gedanken gemacht: weder über den Ablauf des jährlichen Szene-Treffs, noch über die Vortragenden. Sehr unyogisch. Von einem Blick auf das Portofolio der Lehrenden erwarte ich mir, doch noch einen Überblick zu erhalten. Mein Blick bleibt schon bald hängen – am Bart von Daniel Scott. So anders und gleichzeitig neu (für mich) wie die exotischen Disziplin Acro-Yoga, die er unterrichtet. Ich ahne, da geht jemand einen ungewöhnlichen Yogaweg, und freue mich auf ein persönliches Gespräch. Einerseits, um dem Geheimnis des Bartes, falls er eines verbirgt, auf die Spur zu kommen, andererseits, um das Mysterium eines für mich noch zu entdeckenden Yoga-Stils zu ergründen.
Strongman und Rebell
Kali Rays, die große Diva des Tri-Yoga, entschwindet gemeinsam mit ihrer Aura gerade dem großen Turnsaal. Ein Stockwerk höher, am Balkon, warte ich auf den Yogi-Provokateur. Daniel Scott nimmt mir gegenüber auf einer Bierbank Platz. Er sieht tatsächlich aus wie ein Turner des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seinen Bart trägt er heute auch ein bisschen imperialistisch, fein gezwirbelt, die Enden.
Daniel Scott ist so rebellisch wie sein Bart, der manchmal nach Art eines mexikanischen Freiheitskämpfers daherkommt. Er verfasst Artikel wie: „Meditieren für Menschen, die nicht Meditieren“ oder: „Meditieren mit Hilfe von Instagram“. Er gibt Anregungen, wie man die Wartezeiten des Lebens am besten nützt, welche Erfahrungen sich durch die Einnahme von Ecstasy und LSD manifestieren und wie man nach 14 Tagen Vipassana ähnliche Beobachtungen macht. Was bedeutet es Ahimsa, Gewaltlosigkeit zu leben, und falls das nicht gänzlich gelingen mag, ist das bewusste(re) Nicht-Einhalten auch ein Weg? Daniel meint: Iss dein Fleisch, rauche deine Zigaretten, aber denke nach, überlege, bevor du, was auch immer, in Angriff nimmst. Auf welche Weise dient es dir und deiner Umwelt, und welche Auswirkungen hat das, was du gerade im Begriff bist, zu tun? Nimm einen tiefen Atemzug. Stehst du dahinter? Ja? Genieße! Gelebtes Yoga, auch abseits der Matte.
Daniel gibt Lebenshilfe am Puls der Zeit, erklärt, was man aus Verletzungen körperlicher und romantischer Art lernen kann, wie man sie von Innen heilt und warum sie einen menschlicher und somit emphatischer machen. Und manchmal, ja manchmal hilft das alles nichts und dann, ja dann, behilft sich auch (oder gerade) ein Daniel Scott mit diversen Kraftausdrücken.
Vertrauen verleiht Flügel
Kraft, die war auch lange Zeit ein wichtiger Bestandteil von Daniels Yogapraxis, praktisch die Grundlage davon. Irgendwann erkannte er: Je mehr Teilnehmer (mit Sinn für Kooperation), desto mehr Interaktion ist möglich, desto mehr Spaß macht die Sache – wie es im Leben einmal so ist. Diese Gedanken, eine Passion für das gemeinsame Erarbeiten und Erleben, realisiert er im Acro-Yoga.
Als ausgebildeter Ashtanga Yoga-Lehrer und ehemals professioneller Schwimmer verbindet er Kraft mit Leichtigkeit, yogischer sowie praktischer Zweisamkeit – im Yoga des Vertrauens, wie er es nennt. Yoga, das für den Laien im ersten Moment aussehen mag wie Übungseinheiten des chinesischen Nationalzirkus, aber laut Daniel für jeden zu erlernen ist.
Die Weisheit des Yoga
Unterrichtet wird die Weisheit des Yoga, akrobatische Dynamik, die liebende Güte heilender Künste (1) ganz unabhängig von Körpergröße oder (nicht vorhandenen) Vorkenntnissen. Perfektion ist nicht das Maß aller Dinge und braucht auf jeden Fall Zeit. Schon korrekt durchgeführte Vorübungen sehen ziemlich spektakulär aus. Es geht um Geben und Nehmen, gemeinsames Erfahren, Offenheit, Direktheit und Leichtigkeit der Kommunikation. Mitgefühl zu erleben, Mut zu fassen, um Wünsche zu äußern, den Partner zu (unter)stützen lehrt einem, sich selbst unterstützen zu lassen. Fremde(s) zu erfahren, um schlussendlich sich selbst zu erfahren. In Dankbarkeit.
Im freien Fall
I am learning to fly but I aint got wings bedauerte schon Tom Petty mit seinen Heartbreakers in der gleichnamigen alten Hader. Acro-Yoga ist eine Technik, fliegen zu lernen, innerlich und äußerlich. Zu tragen und sich tragen zu lassen. Doch ist Free Fallin‘ nicht viel besser? Die Angst vor dem Fallen verlieren. Vertrauen zu spüren. Und Liebe, weil sie die Basis jedes auf Vertrauen basierenden zwischenmenschlichen Verhältnisses ist. Bewegst du oder wirst du bewegt?
Schön umgesetzt werden diese Gedanken während der Praxis. Wir wärmen uns auf, dann üben wir uns im gegenseitigen Vertrauen, nach einer Stunde fliegen wir bereits. Noch nicht frei, aber wir nähern uns an, an das Fliegen. Wollen bald höher hinaus, mehr von diesem Gefühl. Das interessiert auch Daniel, der uns nach jeder Übung fragt, wie es uns denn ergangen ist und was wir empfinden. Angst, Ungleichgewicht, Unsicherheit, Schwindel, ich sage zu meiner Base (2) Erich Freiheit, das ist, was ich fühle. Beeindruckend, diese Erfahrung.
Völlig losgelöst von der Erde
Acro-Yoga, das ist die Ästhetik des Tanzes, kreative Bewegung, gemeinsam Balance finden, Schönes schaffen, im Fluss. Schwerelos. Ist es denn auch wirklich Yoga? Ich bin überzeugt: Ja. Kann man denn eine Yoga-Stunde (welcher Art auch immer) schöner beschreiben, als mit den oben verwendeten Worten?
Fazit: Das ist deutlich mehr als Schneewittchen auf Crack. Daniel ist ein Reisender zwischen den Welten und Zeiten. Manchmal surreal wie Dalí, mit der Situationskomik eines Groucho Marx. Daniel ist auch Show, aber nicht mehr als er selbst Unterhalter ist. Der Bart ist echt.
Ich möchte von ihm noch wissen, welche Musikrichtung seinen Yogastil wohl am ehesten zum Ausdruck bringt? Er lässt sich inspirieren von Impro Jazz im Allgemeinen und Django Reinhardt im Speziellen. Reinhardt, ein Ausnahmemusiker, Begründer des europäischen Jazz, hatte aufgrund eines Unfalls nur noch drei Finger zur Verfügung. Er entwickelte eine Technik, die sein Spiel trotz der Behinderung in keinster Weise beeinträchtigte, nein, sogar zur Perfektion führte.
Warum fliegen? Weil du kannst!
(1) Mehr über die drei Bausteine des Acro-Yoga auf acroyoga.org
(2) Im Acro-Yoga unterscheidet man zwischen Base (bewegt), Flyer (wird bewegt) und Spotter (beherrscht beides)